Ich wollte in meiner Beziehung etwas Neues ausprobieren: Eine nahe Freundin hat mir einen Tangokurs empfohlen, und so melden wir uns beide zu einem Schnupperwochenende “Tango Argentino” in einer Tanzschule an.
Der Beginn war schwierig: Die anderen waren alle besser, jünger, hatten die schickeren Schuhe… Noch vor dem ersten Tanz waren wir schon fast wieder weg. Nicht dass es immer leicht war, aber inzwischen sind wir im 3. Kurs und langsam geht es ans Früchte ernten. Der Wechsel im Führen und Folgen, oder wie es unser Tanzlehrer nennt: “Schreiben und Lesen”, gelingt immer flüssiger und macht uns beiden zunehmend Freude. Die aktuelle Qualität unserer Beziehung lässt sich immer deutlich beim Tanzen ablesen.
Ganz nebenbei ist mir klargeworden: Dies ist viel mehr als ein Tanzkurs. Plötzlich fühle ich mich wie in einem Führungsseminar für Manager. Alles in diesem Tanz hängt von der Qualität meiner Führung ab. Wie im Unternehmen! Einen so großen Mehrwert für meine Arbeit habe ich nicht erwartet. Die wichtigsten Parallelen für Führende – im Management oder beim Tango – sind für mich:
Führung braucht Klarheit
Dazu muss ich als Führender immer wissen, wohin ich möchte, warum und wann. Und wenn ich das für mich formuliert habe, dann erst geht es in den nächsten Schritt: ich möchte meine Partnerin auf dem Weg mitnehmen. Wir müssen uns abstimmen, uns einig sein über Zeitpunkt, Richtung und Schrittfolge. Nicht anders ist es in Teams und Unternehmen. Alle diese Punkte sind auch dort wichtig.
Kompetenz führt
Manchmal weiß ich nicht weiter, obwohl ich gerade in der Führung bin. Was jetzt? Vielleicht weiß meine Partnerin eine Lösung? Wenn ich mich auf sie einlasse, kann etwas Neues entstehen, etwas was für uns beide gut ist. Wie ist das in Ihren Unternehmen, Organisationen oder Teams? Führt dort meist die Funktion, das Alter, die Genderrolle oder “Vitamin B”? Darf das von Thema zu Thema wechseln? Oft gelingt uns der Wechsel im privaten Kontext ganz gut: ich kann mir z.B. leicht vorstellen, dass ein 16-Jähriger seiner 65-jährigen Großmutter das Internet erklärt. Andersherum ist das eher schwer vorstellbar. Wenn es jedoch um Berufserfahrung geht, werden die Rollen wohl andersherum sein. Die Führungsrolle wird also je nach Thema wechseln. Warum ist das im beruflichen Kontext so schwer?
Würdigung der kleinen Schritte
Am Ende mancher Tanzstunde habe ich gedacht: Nichts geht zusammen. Was mache ich hier eigentlich? Bei den Profis sieht das so leicht aus und wir schaffen noch nicht einmal eine Tanzrunde ohne Diskussion. Vergleichen, Bewerten und hohe Endziele verhindern Entwicklung. Wenn ich dagegen jeden noch so kleinen Fortschritt beachte, wertschätze und mich darüber freue, entsteht Lust auf mehr. Das Gegenteil habe ich oft in Unternehmen erlebt. Die Zielsetzung der Unternehmensleitung hieß z.B.: Wir verdoppeln den Quartalsumsatz. Und wenn am Quartalsende dann “nur” ein Plus von 20% geschafft war, hat das oft keine Zufriedenheit bewirkt, wurde vielleicht sogar als Misserfolg empfunden. Oft genug ging dabei Respekt und Vertrauen gegenseitig verloren.
Mein Tipp:
Ein paar Stunden Tango für Sie und ihr gemischtes Team bringen ganz sicher einiges an Führungsentwicklung und -bewusstsein, kosten vergleichsweise wenig und machen Spaß. Jeder Führungsverantwortliche darf sich einmal auf das Abenteuer “Tango Argentino” einlassen. Es lohnt sich.
Diese Anregung gefällt mir ausgesprochen gut! Lernen und zwar fühlbar, über den Körper und in Bewegung statt ausschließlich durch die Leistung unseres Kopfes – das begeistert mich. Wenn ich Deinen Beitrag lese, habe ich das Gefühl, daß die Erkenntnisse, die Du gewonnen hast, sehr viel mehr Wirkkraft in Dir entfalten, da sie körperlich erlebt und damit verinnerlicht sind. Führen und sich führen lassen gehört für mich unmittelbar zusammen – erst wer beides beherrscht kann seiner Führungsverantwortung gerecht werden. Beim Tango Argentino lernt man beides – und das auf spielerische, fröhliche Art und Weise.
Liebe Cordula, genau das war der Botschaftskern. Wie wunderbar du das auf den Punkt formulierst – angekommen.
Und es ist tatsächlich so: Dieses unmittelbare Erleben, körperlich und gemeinsam, das erzeugt die große Wirkkraft und verankert das Gelernte in uns.
Was denkst du: \”Gibt es auch außerhalb des Tanzraumes noch etwas ähnliches in der Form und Wirkung?\”
Oh – wie schön! Wir teilen da eine Leidenschaft – nämlich unkonventionelle Wege des Lernens, die nicht nur Freude machen, sondern eine besondere Wirkkraft entfalten. In meinem Blog http://cordularosenfeld.wordpress.com habe ich diesem spannenden Thema eine eigene Kategorie gewidmet. Sie heißt \”wenn nicht nur der Kopf lernt\” genannt und ich berichte hier über weitere unkonventionelle Lernerfahrungen und Lernfelder sowie deren Wirkkraft.
Mir zum Beispiel hat sich beim Impro Theater ein ähnliches Lernfeld eröffnet, wie bei dir der Tango-Kurs. Auch hier tut sich auf spielerische Weise ein ideales Übungsfeld auf, um eigene Begrenzungen auflösen zu können. Du kannst ja mal reinschauen unter: http://cordularosenfeld.wordpress.com/2013/05/03/spontanitat-spielend-erlernt/
Ahhh, Improtheater. Stimmt, das ist auch für mich ein körperliches Lernen. Im Moment bin ich in diesem Bereich eher etwas \”langsam\” unterwegs. Zu viel Anderes braucht Zeit, Kraft und Ausrichtung 🙂
Mit diesem Kommentar ziehst du mich förmlich auf deinen Blog. Eine ganz eigene Kategorie – ich bin gespannt…