Vor einigen Tagen telefoniere ich mit Herrn „Anonym“. Er arbeitet in einer Stabsfunktion mit Change-Auftrag für die oberste Leitung eines diversifiziert aufgestellten Konzerns. Er berichtet, dass er aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen völlig überraschend nun auch mit der parallelen Führung (CEO) eines defizitären Unternehmensbereichs betraut wurde.
Zwei Themen rücken im Austausch besonders in mein Bewusstsein: Zum einen überlege ich, welche Bedeutung „Change“ in diesem Unternehmen wohl hat? Öffentlich sichtbar wird dokumentiert, dass nun zwei höchst anspruchsvolle Aufgaben auf nur einer Person und Stelle zusammengefasst werden. Welche Anforderung wird im Zweifel wohl die höhere Priorität genießen? Meine eigene Erfahrung lautet: meist wird das Tagesgeschäft in Form der CEO-Rolle „siegen“. Die Wertigkeit des Bereichs Change wird „demontiert“ und Veränderungsarbeit massiv erschwert. Besonders neugierig macht mich, wie diese Veränderung nun im weiteren Verlauf intern kommuniziert wird?
Damit bin ich im zweiten Thema mit der Frage zu Entscheidungswegen und Kommunikation. Weder der bisherige CEO noch Herr Anonym selbst wurden im Vorfeld in die Diskussionen und Entscheidungen mit einbezogen, vielmehr wurden abschließend Ergebnisse mitgeteilt und Erwartungen ausgesprochen. Der bisherige Bereichsleiter arbeitet nun – ohne Vorbereitung – hierarchisch unter dem neuen Leiter. Wie fühlt er sich? Übergangen, degradiert, erniedrigt, ganz sicher wütend und vielleicht auch etwas ratlos. Auch Herr Anonym steht vor einer neuen Lage – genauso unvorbereitet und emotional berührt. Auch bei ihm mischen sich Ärger und Unsicherheit. Wie wohl das 1te Treffen der beiden Führungskräfte verläuft?
Für alle Beteiligten auf den Führungsebenen entstanden neue und konfliktgeladene Beziehungen. Natürlich finden erfahrene Führungskräfte dafür Lösungen, dennoch sind Spannungen, hohe Belastungen und erschwerte Arbeitsbedingungen vorprogrammiert. Besonders verhängnisvoll dabei ist, so meine eigene Erfahrung, dass sich Beziehungen in Ihrer Form durch die verschiedenen weiteren Arbeitsebenen im gesamten Unternehmen und bei den Menschen verbreiten und WIRKEN.
In diesem Fall erschwerend.
Wie könnte ein alternatives Vorgehen aussehen? Es gäbe Varianten, nicht zuletzt durch ein gemeinsames Gespräch der beteiligten Führungskräfte. Eine Möglichkeit könnte z.B. darin bestehen, Herrn Anonym als Mentor/Berater dem „alten CEO“ an die Seite zu stellen und ihn gleichzeitig auf seiner Change-Stelle und Verantwortung zu belassen. Vorteile: die Struktur bleibt erhalten, Anpassungs-/Rüstzeiten fallen nicht an. Neue Hindernisse müssen nicht überwunden werden, da solche gar nicht erst entstehen. KnowHow wird zwischen dem neu gebildeten Tandem ausgetauscht, verbunden und weiter entwickelt. Der betroffene Unternehmensbereich erhält damit die Chance zur positiven Veränderung. Gleichzeitig bleibt die Bedeutung von „Change“ im Unternehmen sichtbar erhalten, wird durch die praktische Einbeziehung in das Tagesgeschäft sogar gestärkt.
Sicherlich gibt es, neben dem gewählten Weg, auch noch weitere Alternativen?
Voraussetzung dafür ist ein offener Umgang der verantwortlichen Führungskräfte, manchmal auch jenseits von persönlichen Interessen. Es braucht den Willen zum vorherigen Austausch statt der Präsentation von fertigen “Lösungen”. Gefragt ist eine mutige Führungshaltung in einem fließenden Wechsel zwischen Führungs-WIR und Chef-ICH. Beides ist in seiner Wirkung ganz sicher wichtig und sinnvoll – eben im Wechsel eines “Sowohl als Auch“.