100 Tage sind vergangen, seit ich mich in einer Schule für chinesische Kampfkünste angemeldet habe. Bewegt hat mich hierzu mein Wunsch nach einem weiteren Schritt in Richtung Körperbewusstsein.
Rund 40 Lebensjahre habe ich meinen Körper als selbstverständlich betrachtet. Ich habe ihn soviel gepflegt wie es zum Wohlfühlen gebraucht hat und in meinem Lebensumfeld üblich war. Und sonst habe ich ihn „eben“ genutzt: verschiedenste Sportarten, viel Bewegung, Arbeit, Freizeit, lange Geschäftsmeetings und Businessreisen, wechselnde und wachsende Verantwortungen, Hausbau, Reiten, usw. Mein Körper war fast immer für mich da, ohne allzu viel dafür zu verlangen.
Im Rahmen meiner Bewusstseinsarbeit der letzten Jahre habe ich neben den Bereichen Verstand und Emotionalität auch schrittweise einen Zugang zu einem neuen und bewussten Körperverständnis erhalten. Ich habe erlebt, wie früheste physische Erfahrungen noch heute – 50 Jahre später – wirken. Mich manchmal fördern und manchmal auch einschränken!
Ich habe damit begonnen, meine Erfahrungsgeschichte auch auf der Körperebene zu bearbeiten und in mein heutiges Leben zu integrieren. Mein Weg verlief von Rolfing, CranioSacral, Fasten, Feldenkrais, Shiatsu über Meditation, Singen, Stimmbildung, Impulstheater, Körper+Intuition bis hin zu Tanz und Osteopathie. Aus allem konnte ich etwas für mich mitnehmen, bin mit mehr Bewusstsein und Erfahrung weitergegangen.
Bereits vor 2-3 Jahren entstand dann der Wunsch sich verstärkt in einer mehr aktiven und physischen Kontaktform mit dem Thema zu beschäftigen. Boxen und verschiedene asiatische Kampftechniken waren die ersten Stationen auf meiner Suche. Einige Studios und Lehrer später kam ich zum Ergebnis „Das ist es nicht, was ich suche”. Ein Beispiel: 20 Jungs im Alter von +/- 25 in einem Raum, da wird Testosteron hörbar, sichtbar, riechbar und fühlbar. Das ist auch ok so; aber eben nicht für mich, nicht hier und heute. Und dann kam es wie so oft. Eine Empfehlung führt mich in´s Testtraining der Ying Men Schule, Neuss
Mein Fazit nach 3 Monaten: Was und wie Friedhelm Tippner dort lehrt orientiert sich stark an traditionellen chinesischen Methoden. Zentrales Thema ist die innere Haltung. Es geht sehr viel um Wirkung, Bewusstsein, Ausrichtung, Absicht, Orientierung, Struktur, Anspannung und Entspannung gleichzeitig.
Die Trainingsformen verbinden für mich Kampf- und KörperKunst!
Sowohl männliche als auch weibliche Qualitäten und Kräfte sind Bestandteil des Unterrichts und werden gefördert. Vielleicht hat diese Schule auch deshalb Männer und Frauen aus verschiedenen Jahrgängen in ihren Reihen?
Ich hätte niemals gedacht, dass es so schwer sein kann mich „nur“ zu bewegen. Egal ob beim XingYiQuan, QiGong oder LiuheBafa – häufig stehe ich vor einer Übung und habe, trotz gutem Willen und Konzentration, nicht die geringste Idee wie ich eine Bewegung ausführen kann. Es fühlt sich oft an, wie wenn es dafür gar keinen Steuerersatz in meinem System gäbe. Und wenn ich dann so langsam den internen Befehl formulieren kann, dann erscheint als nächste Begrenzung die körperliche physische Ausführung…
Mit vielen Wiederholungen, kleinen bewussten Schritten und regelmäßigen Übungen erobere ich mir langsam zurück, was ich als Kleinkind bereits einmal hatte: Ein natürliches Körpergefühl, Vertrauen in meine Körperintelligenz und das Gefühl dass meine Körperteile tatsächlich “zusammengehören”.
Inzwischen freue ich mich auf das regelmäßige Training. Auch weil ich erlebe, dass die positive Wirkung in mein tägliches Leben übergeht.
Das was Du schilderst, kenne ich auch.
Erst mit Abstand ist mir klar geworden, daß Körperbewußtsein vor allem im Business-Umfeld bisher kaum Raum hat. Ich selbst mußte lernen, daß Funktionsstärke und Körperbewußtsein sich einfach gegenseitig ausschließen. Unter anderem weil das Eine Schnelligkeit und das Andere Achtsamkeit und Entschleunigung impliziert. Der geschwindigkeitsgetriebene Fokus auf den Verstand verhindert den Zugang zum Körpergefühl.
Dabei könnte uns unser Körper zu einem weisen Ratgeber gerade in der Begegnung mit Anderen werden.
Willkommen Cordula. Das kann ich nachvollziehen: Funktionsstärke und Körperbewusstsein beeinflussen sich gegenseitig. So wie ich die beiden Wörter verstehe, zielt Funktionsstärke in Richtung „Tun und Machen, tendenziell im Außen“ während ich bei Körperbewusstsein mehr an Spüren, auch Hineinspüren, denke. Gleichzeitig kann ich mir beides kaum vorstellen. Und dennoch hilft mir meine Funktionsstärke auch, z.B. dabeizubleiben wenn im Körpertraining etwas nicht gleich klappt.
Ich versuche das eine zu gewinnen ohne das andere zu verlieren. Dazu verhelfen mir auch deine Richtungsworte, danke. Speziell dein letzter Satz ist Balsam für meine Seele: „Ein weiser Ratgeber…“
[…] in Veränderungsprozessen. Eine wichtige Erkenntnis, die ich ganz persönlich und am eigenen Leib erlebe. Wenn ich statt “im Kreis zu denken” eine langsame “Runde in der Natur […]