Wenn ich heute auf die letzten drei Jahre im KI-Movement blicke, habe ich den Eindruck, dass der erste große Hype langsam abflacht.
Das ist keine schlechte Nachricht. Ganz im Gegenteil, es ist ein notwendiger Schritt. Nach der Welle der Euphorie folgt die Phase, in der wir herausfinden, was wirklich tragbar ist.
Vom WOW zum Wie
Anfangs war alles neu, aufregend, fast magisch. KI-Tools versprachen, unsere Arbeit, unsere Kommunikation, ja sogar unsere Kreativität zu revolutionieren. Wer sich an die ersten Monate nach dem Start von ChatGPT erinnert, weiß, was ich meine: Plötzlich war KI überall.
Diese Begeisterung war wichtig. Sie hat Energie freigesetzt, Diskussionen angestoßen, Mut gemacht, Neues zu probieren. Jeder Hype braucht diesen Anfangsschub.
Doch nun zeigt sich: Die anfängliche Faszination weicht einer ruhigeren, reiferen Phase. Unternehmen fragen sich nicht mehr „ob“ sie KI nutzen sollten, sondern „wo und wie“. Die Diskussion wird differenzierter, konkreter und realistischer.
Ein kurzer Blick auf den Hype-Cycle
Der bekannte Gartner Hype Cycle beschreibt den typischen Verlauf technologischer Entwicklungen in fünf Phasen:
- Innovationsauslöser
- Höhepunkt überzogener Erwartungen
- Tal der Ernüchterung
- Pfad der Erleuchtung
- Produktivitätsphase (Mainstream)
Wenn ich auf das aktuelle KI-Geschehen schaue, bewegen wir uns irgendwo zwischen Phase 3 und 4.
Die ersten Enttäuschungen sind da und die Realität hat manche überzogenen Erwartungen eingeholt. Gleichzeitig entstehen nun immer mehr ernsthafte Projekte, echte Anwendungen und messbare Mehrwerte.
Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Zyklen abspielen, ist heute um ein vielfaches schneller. Bis zur breiten Nutzung des Internets vergingen mehrere Jahrzehnte. Vom ersten Smartphone bis zum iPhone waren es weniger als zehn Jahre. Und als OpenAI im November 2022 ChatGPT veröffentlichte, dauerte es keine fünf Tage, bis über eine Million Menschen registriert waren.
Das ist Beschleunigung pur und sie verändert, wie Unternehmen heute lernen, entscheiden und umsetzen.
Was bedeutet das für den Mittelstand?
Gerade Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitenden stehen jetzt an einem spannenden Punkt. Viele haben in den letzten Jahren beobachtet, abgewogen, vielleicht erste Pilotprojekte gestartet oder bewusst abgewartet.
Und das war keineswegs falsch.
Denn jetzt, wo der erste Staub sich gelegt hat, kommt die Zeit für gezielte, unternehmensspezifische Schritte.
Es geht nicht mehr darum, jedem Trend hinterherzulaufen, sondern darum, die Technologie strategisch zu verankern, passend zur eigenen Kultur, Organisation und Marktposition.
Die meisten Unternehmen, die ich derzeit erlebe, haben bereits wertvolle KI-Erfahrungen im Haus. Einzelne Mitarbeitender, die aus Neugier oder persönlichem Interesse Tools ausprobieren, Texte erstellen, Präsentationen verbessern oder Daten analysieren. Diese individuellen Erfahrungen sind Gold wert. Sie sind der Nährboden für die Phase der organisationalen Nutzung.
Vom individuellen Experiment zur kollektiven Kompetenz
Der nächste Schritt besteht darin, diese verstreuten Erfahrungen zu bündeln. Denn solange KI-Wissen individuell bleibt, entsteht kein echter Nutzen für das Unternehmen. Erst wenn Mitarbeitende voneinander lernen, sich austauschen, bewährte Anwendungsfälle teilen und daraus Standards oder Prozesse entwickeln, wird KI zu einem Faktor, der Wert schafft – messbar, wiederholbar, strategisch.
Wie Sie das organisieren, hängt stark von Ihrer Kultur ab. Manche Unternehmen starten mit internen Communities, andere mit crossfunktionalen Teams oder KI-Botschaftern in den Fachbereichen. Wichtig ist vor allem Bewusstsein und Haltung:
- KI ist kein IT-Projekt.
Es ist ein Kulturthema, das alle betrifft. - KI braucht Führung.
Nicht, um sie zu kontrollieren, sondern um sie zu ermöglichen. - KI schafft nur dort Wert, wo Menschen sie verstehen und sinnvoll einsetzen.
Vom Hype zur Haltung
Der Hype hat uns wachgerüttelt – jetzt braucht es Haltung. Denn Technologie allein verändert noch nichts. Was zählt ist, wie wir sie nutzen, wofür und mit welcher Überzeugung.
Ich bin der Meinung, der Mittelstand steht jetzt vor einer großen Chance. Während Konzerne sich mit Bürokratie und langen Entscheidungswegen abmühen, können mittelgroße Unternehmen mit klaren Strukturen, schnellen Entscheidungen und hoher Nähe zu den Mitarbeitenden enorm profitieren.
Kein blindes Rennen nach vorn sondern ein klarer, reflektierter Blick nach innen:
Wo entstehen heute schon kleine, kluge KI-Lösungen im Alltag?
Wer nutzt sie und warum funktionieren sie dort?
Mein persönlicher Eindruck
Ich erlebe täglich, wie unterschiedlich Unternehmen auf das Thema reagieren.
Von „Wir brauchen sofort eine KI-Strategie!“ bis hin zu „Wir warten erst mal ab“.
Beide Extreme helfen erfahrungsgemäß wenig.
Erfolgreich sind diejenigen, die bewusst handeln.
Die anerkennen, dass KI kein Selbstzweck ist, sondern Teil einer größeren Entwicklung, einer Entwicklung hin zu mehr Effizienz, aber auch zu einer neuen Form des miteinander Arbeitens im Unternehmen.
Mich fasziniert besonders, wie schnell sich der Umgang mit Technologie verändert hat. Vom Blackberry, mit dem ich damals noch mühsam Mails tippte, bis zu den heutigen KI-Assistenten liegen rund 25 Jahre und doch fühlt es sich an wie eine andere Welt. Diese Geschwindigkeit fordert uns. Sie bietet aber auch eine enorme Chance, wenn wir sie mit klarer Haltung gestalten.
Fazit: Der Hype ist vorbei. Die Arbeit beginnt.
Wir stehen an einem Wendepunkt. Nicht mehr die Technologie treibt uns, sondern wir gestalten, was sie für uns bedeutet. Der Hype hat seinen Zweck erfüllt und hat Bewegung initiiert. Jetzt kommt es darauf an, Substanz zu schaffen.
Mein Tip an Unternehmen, besonders im Mittelstand:
Nutzen Sie die Energie, die der Hype freigesetzt hat und verankern Sie KI bewusst in Ihrer Organisation. Schaffen Sie Raum für Austausch, für gemeinsames Lernen und für eine klare Strategie.
KI wird nicht erfolgreich, weil sie neu ist, sondern weil Sie sie klug einsetzen.
Lese- und Hörtipp zur Vertiefung:
Buch: Hype von Felix Zeltner und Christina Horsten
Podcast: Felix Zeltner zu Gast bei Sascha Lobo – KI-Hype mit Substanz
Foto-Credit: Gartner HypeCycles auf Youtube